Von Anjoulih Pawelka
Ittlingen. Die Zeit zwischen April und Juni: Das sind für mich nicht nur blühende Blumen, saftige Wiesen und Felder, sondern auch Spargelstangen. Ich liebe ihn in jeglicher Form. Doch wie kommt er überhaupt aus der Erde auf den Teller? Das möchte ich herausfinden und gehe dafür auf den Spargelhof.
Da stehe ich also: Mitten im Nirgendwo auf einem Feld, atme die frische, nach Erde und Tau riechende Luft ein, und bin voller Erwartung. Mirek Praczek lernt mich in die Kunst des Spargelstechens ein. Der Pole ist seit 22 Jahren jede Saison auf dem Hof von Reiner Keller und seinem "Kraichgau Spargel" in Ittlingen. "Anjoulih, guck bissli. So machen", sagt der 58-Jährige. Dann rammt er das Messer, das eher einem langen Malerspachtel ähnelt, gefühlvoll in den Boden. Stochert ein, zwei Mal herum und hält den Spargel in den Händen. "Sieht einfach aus", denke ich, und mache mich ans Werk. Ich nehme mein Messer, lege die Spargelspitze - die leicht aus dem Boden schaut - frei, ramme das Messer ebenfalls in den Boden, wühle in der Erde, höre wie es knackt, freue mich über das Geräusch, und versuche den Spargel aus dem Boden zu ziehen. Klappt nicht. Ich habe wohl die falsche Stange getroffen. Mit seiner weichen Stimme, in der ein leichtes Summen mitschwingt, gibt mir Mirek immer wieder Tipps. Ich versuche es wieder, vergrößere aber nur das Loch in der Erde.
Rückblick: Mein Arbeitstag hat früh begonnen. Pünktlich um sechs Uhr stehe ich vor der Scheune von Familie Keller. Meine erste Aufgabe an diesem Morgen: den Spargel, der am Vortag gestochen wurde und im Kühlhaus lagert, in gleich lange Stücke schneiden. Diese werden dann verpackt und an große Supermärkte in der Region verteilt. Nicht länger als zwölf Zentimeter dürfen die Stangen sein.
Ich beginne mit meiner Arbeit. Nehme zu Beginn nur wenige Spargel in meine Hand, lege sie auf das Brett und versuche, sie perfekt abzuschneiden. Klappt ganz gut. Also werde ich übermütig, habe irgendwann ein wenig Probleme die Spitzen nebeneinander zu legen, reduziere meine Menge und komme mit der Aufgabe gut zurecht. Einziges Problemchen: Die Kiste mit dem eisgekühlten Spargel wird nur langsam leerer. Meine Hände dafür immer kälter.
Währenddessen arbeiten die sechs polnischen Hilfskräfte am Fließband. Es ist wie eine kleine Produktionsstraße. Am Anfang ist der Spargel: braun, dreckig, wie die Natur ihn schuf. Kistenweise wartend auf die Weiterverarbeitung. Nachdem er gewaschen wurde, kommt er auf das Fließband, langsam fährt der Spargel in die Maschine, in der die Enden der Delikatesse abgeschnitten werden. Der monotone, schrille Ton der elektrischen Messer erinnert an eine Kreissäge. Im Laufe des Vormittages wird mein Verhältnis zu besagtem Ton zwischen "das ist nervtötend" bis hin zu "hat was entspannendes" schwanken.
Wenn der Spargel abgeschnitten wurde, wird er auf dem Fließband jeweils in ein separates Fach gelegt, bevor eine Kamera drei Bilder macht und feststellt, welche Güteklasse das weiße Gewächs hat. Automatisch landet er dann in einer der vielen Kisten für dicken, dünnen, langen oder kurzen Spargel. Die Maschine habe eine 95-prozentige Richtigkeit, sagt Reiner Keller. Um die restlichen fünf Prozent kümmern sich die drei Hilfskräfte, die noch einmal kontrollieren.
Seit 21 Jahren ist Reiner Keller im Spargelgeschäft tätig. 1998 hat er die ersten Pflanzen in den Boden gebracht. "Das war am ersten Geburtstag meines Sohnes, am 24. März", erinnert sich der Landwirt. Durch seine Johannisbeeren, die er schon ein paar Jahre vorher angebaut hat, kam der Kontakt zum Großmarkt zustande. Sie hätten ihn auf die Idee gebracht, auch Spargel anzubauen. Das Meiste verkauft Keller allerdings in dem kleinen Hofladen, den seine Frau Birgit leitet. Aber auch einige Restaurants beliefert der Landwirt. Leicht sei die Arbeit mit dem Spargel nicht: "Wenn man was einfaches machen will, darf man keinen Spargel anbauen", betont er. Die Stange sei anspruchsvoll. Ist das Wetter zu kalt, wächst der Spargel gar nicht, bei warmen Temperaturen schießt er hingegen bis zu acht Zentimeter am Tag aus dem Boden. Alles wenig planbar. Die Tage sind lang in den maximal zwölf Wochen Spargelsaison. Meist erst gegen zehn Uhr abends habe er in dieser Zeit Feierabend, sagt Keller. "Das ist eine turbulente, wilde Zeit." Dafür sei es im Winter aber deutlich ruhiger.
Hier auf dem vier Hektar großen Feld über den Dächern Ittlingens wünsche ich mir die Arbeit in der Frühe für einen kurzen Moment zurück. Vor allem das maschinelle Spargelschälen hatte es mir angetan. Eine tolle Aufgabe. Den Spargel aus der Kiste nehmen, an die Maschine halten und sich erfreuen, wenn er eingezogen wird. Stundenlang hätte ich dort stehen können. Das war fast wie Meditation. Natürlich musste ich ab und zu meinen Posten verlassen, um die geschälten Spargel aus dem kalten Wasser in eine Kiste zu legen. Und ja, meine Hände waren irgendwann rot vor Kälte. Aber ich hatte ein Erfolgserlebnis auf dem Feld.
Das ist hier eher nicht der Fall. Mittlerweile sehe ich nur noch die Hinterköpfe der anderen Arbeiter. Daria Sznaze, eine quirlige junge Frau mit blonden Haaren und verwuscheltem Dutt, hat Mitleid mit mir und fragt lachend, ob sie helfen soll. Ich verneine, der Ehrgeiz hat mich gepackt. Das kann doch nicht so schwer sein - ist es anscheinend aber. Immer wieder breche ich die Spargelspitzen ab, treffe mit dem Messer nicht den Körper oder ernte zu kurze Stangen. Nach gefühlten 100 Fehlversuchen, ebenso vielen Flüchen meinerseits und einem fast leeren Korb, nehme ich die Hilfe doch an. Knapp 20 Erntehelfer beschäftigt Reiner Keller in der Hochsaison. Während ich so vor mich hinsteche, sind die restlichen Arbeiter mit ihren Spargelreihen schon längst fertig und laden die Kisten in den kleinen Transporter.
"Das ist keine schwere Arbeit, das ist ein bisschen wie Urlaub", sagt Daria, die in Polen eigentlich Firsörin ist, mit ihrem unverkennbaren Lachen. Tatsächlich habe auch ich mir die Arbeit als Spargelstecherin anstrengender vorgestellt, trotzdem braucht es ganz schön viel Zeit, bis die Stangen zum Verzehr auf dem Teller liegen. Ich werde mich daran erinnern, wenn ich das nächste Mal voller Genuss die weißen, grünen oder lila Stangen meinen Gaumen hinuntergleiten lasse und den Geschmack bis zum letzten Augenblick auskoste.