Von Christiane Barth
Helmstadt-Bargen. Es müssen Abertausende sein: Sandbienen, die sich einen gepflegten Natursteingarten mitten in Helmstadt als "Boarding House" auserkoren haben. Eine Behausung auf Zeit: Mehrere Wochen im Jahr kommt Thomas Stettner aus dem Staunen nicht heraus. Immer im Frühjahr und im Herbst wimmelt es direkt vor seiner Terrassentür von schwer beschäftigten Erdbienen, die sich vor Emsigkeit fast überschlagen: Sie buddeln Löcher wie Regenwürmer, schwirren über Erika und Heidekraut wie ein grauer Teppich und bohren ihre Beine in die Erde, als wollten sie eine unterirdische Stadt errichten. Bevölkert von den Insekten jedoch sind nur wenige Quadratmeter seines Grundstücks, all die Anwesen drum herum werden von den Sandbienen verschmäht. Warum das so ist? "Ich habe keine Ahnung", gibt der 54-Jährige unumwunden zu.
Ein bisschen steht er ja schon vor einem Rätsel: Von einem Tag auf den anderen sind sie plötzlich alle da. Ohne Vorwarnung. Seit zehn Jahren kann er dieses Schauspiel schon beobachten. Damals war es der noch kleine Sohn, der im Garten mit seinem Spielzeuglaster spielte und der dann die flirrenden Insekten entdeckte und prompt seinen Laster einpackte, aus Angst, gestochen zu werden. Charakteristisch für die Betriebsamkeit der jährlichen Untermieter sind die kleinen Erdhäufchen, die sie produzieren und an denen Thomas Stettner auch an regnerischen Tagen erkennen kann, dass er wieder Besuch hat. In seinen Garten hat er viel Zeit und Mühe investiert, nur natürliche Materialien verbaut und ein kleines Naturrefugium geschaffen, in dem sich nicht nur die Flora, sondern auch die Fauna gerne auszubreiten scheint. Dass das Hanggrundstück von den Sand- und Erdbienen derart bevorzugt wird, ist ein wundersames Schauspiel, an dem sich Stettner jedes Jahr aufs Neue erfreut. Was sie in all ihrer Geschäftigkeit produzieren? Keinen Honig, sondern Krümel.
Die Gattung Andrena also als Stammgast, der sich noch dazu in 100 Untergattungen aufteilt. Sie sammelt den Pollen mit einer "Haarbürste" an den Hinterbeinen auf, liebt trockene und warme Biotope wie den terrassenförmig angelegten Garten des Helmstadters, der der Sonne kaum Hindernis bietet. Was Stettner dabei fasziniert: "Dass es so etwas Extremes gibt, ist schon erstaunlich."
Zuverlässig mietet sich das Gästevolk im Frühjahr bei ihm ein und checkt im Sommer wieder aus. Im Oktober kehren sie zurück. "Dann buddeln sie noch exzessiver als im Frühjahr", berichtet Stettner. Häufchen über Häufchen werden in seinem Garten produziert, als wären Mini-Maulwürfe am Werk. "Im Herbst fällt mir immer auf, dass sie jede Menge Pollen an den Beinen tragen und in der Erde verbuddeln." Jetzt, im Frühjahr, von der Wärme hervorgelockt, arbeitet sich das Volk jedoch ohne "Material" in den Boden ein.
Sandbienen sind übrigens harmlos, sie sind nicht aggressiv, verteidigen ihre Nester nicht und stechen nicht. Der kleine Sohn hätte vor zehn Jahren also getrost weiter seinen Laster über das Territorium der fleißigen Insekten rattern lassen können. Ihr emsiges Getümmel ergibt also durchaus Sinn, auch wenn der Gartenbesitzer weiterhin vor einem Rätsel steht. Dennoch haben die Insekten eine wichtige Mission: Sie sind Bestäuber von Wild- und Kulturpflanzen und daher äußerst nützlich und mit Respekt zu behandeln.